Interview mit Sarah Atcho
Die Staffelläuferin Sarah Atcho spricht über ihre Erfahrungen mit Depression, die Verantwortung als Influencerin – und wie sie sich vom Sprinten erholt.
Du hast rund 23 000 Follower auf Insta. Wie hast du das geschafft?
Das hat sich Schritt für Schritt ergeben. Gute Resultate an den Meisterschaften helfen natürlich. Nach der WM etwa habe ich gleich eine beträchtliche Anzahl dazugewonnen.
Mit welcher Art von Posts hast du am meisten Erfolg?
Neben guten Leistungen an den Wettkämpfen mögen die Leute alles, was mit weiblicher Ermächtigung zu tun hat – also wenn sie fühlen, dass ich meinen Weg selbstbestimmt gehe.
Junge Mädchen denken oft, man müsse auf Social Media vor allem viel Haut zeigen, um viele Likes zu erhalten.
Ich habe kein Problem mit nackter Haut. In meinem Sport trägt frau nun mal nicht so viele Kleider (lacht). Aber ich möchte mich trotzdem nicht zu sexy zeigen.
Steckbrief
Geburtstag: | 01.Juni 1995 |
Verein | Lausanne-Sports Athlétisme |
Trainer | Laurent Meuwly |
Disziplin(en) | 100m, 200m, 400m |
Liebling-Training | Schnelligkeit |
Lieblings-Wettkampf: | Weltklasse Zürich, Athletissima Lausanne |
Webseite | www.sarah-atcho.ch |
Social Media | Facebook, Instagram, Twitter |
Du ziehst es vor, andere Botschaften zu vermitteln. Welche konkret?
Ich bin weiblich, schwarz und erfolgreich im Sport und im Studium. Das geht alles zusammen. Oder anders gesagt: Auch wenn frau zu einer Minderheit gehört, kann frau Erfolg haben. Und auch wenn man eine Karriere im Profisport verfolgt, kann man ein Studium abschliessen.
Zu Beginn des Jahres hattest du eine Herzbeutelentzündung. Wie geht es dir heute?
Es geht besser. Ich kann jetzt langsam wieder mit dem Training beginnen. In zwei bis drei Wochen werde ich normal belasten können.
Normalerweise forderst du sehr viel von deinem Körper. Was tust du für die Regeneration?
Momentan achte ich vor allem sehr auf die Ernährung. Ich habe in der Vergangenheit zu wenig gegessen, weil ich dachte, ich müsste schlank sein. Deshalb war ich oft verletzt. Jetzt esse ich richtig, mehr und besser.
Was heisst besser essen für dich?
Früher habe ich bloss zwei Mahlzeiten pro Tag eingenommen. Und ich habe auf Teigwaren verzichtet. Das war völlig falsch. Kohlenhydrate liefern Energie. Wenn man Sport macht, braucht man die einfach. Heute esse ich vier Mal pro Tag – und ich bin fitter und sogar schlanker als früher.
Erholst du dich nach einem Wettkampf anders als nach einem harten Training?
Nach dem Wettkampf ist es für mich vor allem wichtig, dass ich nicht mehr an den Sport denke. Das gelingt mir am besten, wenn ich mit Freunden oder meiner Familie zusammen bin.
Machst du andere Sportarten zum Ausgleich?
Ich mache täglich Yoga und Pilates. Das ist gut für die Beweglichkeit aber auch für den Kopf. Dann ist fertig mit Telefon und mit Social Media. Ich nehme mir diese Stunde – und das ist dann wirklich der Moment zum Runterfahren.
Während den Olympischen Spielen in Tokyo ging es dir nicht gut. Was ist da genau passiert?
Ich habe während fünf Jahren auf die Spiele trainiert. Sie waren DAS Ziel – und dann war ich bloss als Ersatzläuferin mit dabei. Diese Situation war sehr schwierig für mich. Zumal ich mich für meine Teamkolleginnen in der Staffel motiviert und gut gelaunt zeigen musste, während ich innerlich völlig zerstört war.
Wie ist es dir gelungen, da wieder herauszufinden?
Ich habe mich meiner Teamkollegin Salomé Kora anvertraut. Salomé hat mir super Ratschläge gegeben. Sie hat mir unter anderem empfohlen, dass ich mir psychologische Unterstützung hole. Ich schämte mich erst, zum Psy zu gehen. Aber Salomé meinte: Hey easy, das machen doch alle.
Welche Strategien hast du erarbeitet, um künftig mit solchen Situationen besser umgehen zu können?
Ich habe vor Olympia extrem auf den Sport fokussiert. Das ist natürlich wichtig, wenn man Höchstleitungen erzielen will. Aber neben dem Laufen gibt es noch anderes im Leben. Das darf man nicht aus den Augen verlieren.
Wie hat dein Umfeld auf die Krise reagiert?
Meine Familie und auch alle meine Sponsoren haben mich super unterstützt. Mit PUMA wäre der Vertrag eigentlich in jener Zeit ausgelaufen, aber sie haben gesagt: Auch wenn es jetzt nicht gut gelaufen ist, wir mögen dich als Person und wir möchten weiterhin mit dir zusammenarbeiten. Niemand hat mich unter Druck gesetzt – oder mir das Gefühl gegeben, ich müsse mich dafür schämen, dass ich Hilfe brauche.
Es ist toll, dass du so offen darüber sprichst.
Das ist wichtig. Es gibt viele Menschen, die unter Depressionen leiden und nicht wagen darüber zu sprechen – dabei ist das der erste Schritt, um da wieder rauszukommen.